Herborn in Hessen ist eine historische Fachwerkstadt mit hohem Wohlfühlfaktor am Fuße des Westerwaldes. Hier wohnt Nina Kring, 45 Jahre alt. Wir haben unser heutiges „Gesichter des Lebens“ Fotoshooting in ihren heimischen Garten verlegt. Mit Blick über die Stadt, umrahmt von idyllischer Landschaft, fühlt Nina sich zwischen Lavendel und wilden Erdbeeren einfach am wohlsten.
Nach dem Fotografieren setzen wir uns in ihrer Küche zum Interview zusammen. „Eigentlich bin ich immer meinen Träumen gefolgt. Ich bin sehr freiheitsliebend und naturverbunden! Meinen Beruf als Soldat liebe ich, kann ihn aber wegen meiner durch meine Einsätze ausgelösten Erkrankungen nicht mehr ausüben. Ich leide unter schweren Depressionen und bin an einer komplexen PTBS mit körperlichem Trauma erkrankt."

Seit wann bist du Soldat?
„Seit September 1997, da bin ich in die Bundeswehr eingetreten. Mein Berufswunsch entstand bereits im Alter von sechs Jahren. Mir ist übrigens nicht wichtig, dass man Soldatin sagt. Dass ich eine Frau bin, sieht man ja. Viel wichtiger ist die Berufung!"
Warum wolltest du Soldat werden?
„Ich war familiär geprägt durch meinen Papa und meinen Opa. Beide waren Soldaten und haben mir bereits gewisse Werte vermittelt, die mir immer wichtiger wurden. Dafür wollte ich dann meinen Dienst tun als Staatsbürger in Uniform, für unser Volk."
Wie sieht es heute mit besagten Werten aus?
„Diese Werte sind mir weiterhin wichtig! Hinzu kamen mein persönliches Glück und Zufriedenheit. Mein Rechtsempfinden hat sich verschoben durch meine Auslandseinsätze. Besonders das Wissen, dass ich das Recht habe zu entscheiden, wo und wie ich leben möchte!
Doch auch z.B. Ängste gehören dazu und Traurigkeit - Traurigkeit, die manchmal sehr tief geht, die ich aber zulassen kann.” Nina ist eine sehr tiefgründige und teilweise in sich versunkene Frau.
Während unseres Fotografierens gibt es einige Momente in denen sie komplett in ihre innere Welt abgetaucht wirkt. Ganz tief in sich gekehrt wird ihr Gesichtsausdruck fest und irgendwie melancholisch. Vor unserem Shooting und Interview hatte ich Nina gefragt ob es Themen gibt, die ich nicht ansprechen sollte. Sie verneinte und meinte: „Nein. Wenn ich ein gutes Gefühl habe, kann ich über alles sprechen. Und möchte es auch gerne tun!”

Welche Auslandseinsätze hast du absolviert Nina?
„Vom März bis September 1999 war ich als Rettungssanitäter in Sarajevo (Bosnien) und anschließend im Kosovo eingesetzt. Im Jahr 2005 ging es nach Kabul, Afghanistan. Alle meine Einsätze waren freiwillig. Es ging mir um Werte und meine Berufung, für die ich aktiv etwas tun wollte.
Bei den ersten beiden Einsätzen habe ich mir immer öfter die Frage gestellt warum zuvor friedlich zusammenlebende Menschen in solch einen Konflikt kommen. Ich war mental wie die meisten meiner Kameraden auf diese Einsätze nicht vorbereitet.
In meinem Job als Rettungssanitäter hatte ich häufig mit serbischen und bosnischen Soldaten und Polizisten zu tun. Ich hatte dienstlich auch mit weiblichen Vergewaltigungsopfern zu tun.
Vergewaltigung als Kriegswaffe! Ich empfand richtig Wut gegen die männlichen Täter vor Ort. Die Frauen wurden traumatisiert und wollten nicht mehr Frau sein. Diese Einsätze in Bosnien und Serbien haben mich verändert und geprägt. Mein Weltbild über uns als Menschen hat sich verändert.” Im Jahr 2008 hat der UN-Sicherheitsrat sexualisierte Gewalt im Krieg als Kriegsverbrechen anerkannt. Seitdem können Täter und Täterinnen vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verurteilt werden.
Wenn Nina spricht, spricht immer ihr ganzer Körper.
Wir setzen unser Gespräch fort. Nina wirkt ruhig und fühlt sich gut aufgehoben, sagt sie.
Ihre irischer Wolfshund lässt sie nicht aus den Augen, Ninas treue Begleiter. Die tägliche liebevolle Beschäftigung mit ihrem Hund schenkt ihr heilsamen Frieden und bereitet ihr Freude.
"Thor war der kleinste und dünnste im Wurf, den Menschen gegenüber nicht aufgeschlossen, hat immer erst mal beobachtet an den Besuchstagen und eine Weile gebraucht, bis er kam. Und wenn man ihn hochgenommen hat, hat man erst mal Zähne gesehen und er hat einen angeknurrt. Ich fand das charmant und süss, er war ja nur ein kleiner Knirps.
Als ich ihm bekam war er sehr agil, sehr scheu und wild, aber gegenüber meinem alten Hund Hummel sehr zutraulich. Er war sein Bezugshund. Die beiden waren sehr eng miteinander, wie Vater und Sohn. Thor hat sehr viel von Hummel gelernt. Er ist ein nicht ganz einfacher Hund, wenn ich wütend oder aggressiv bin auch unterschwellig dann weicht er mir aus. Also bin ich immer gezwungen meine Emotionen zu klären auch wenn ich angespannt bin merkt er das. Er fängt dann an mit mir zu raufen so das die Anspannung abfällt. Weil sie im Spiel raus gelassen werden kann und er merkt sich wenn ich traurig bin, dann kommt er und fordert mich ebenfalls zum Spiel auf oder legt einfach seine Kopf auf meine Beine. Es war für mich anfänglich sehr schwierig Thor zu akzeptieren wie er ist. Er hat wirklich viel zerstört aber das kommt daher er ist zu 70% Wolf. Das war normal sein Verhalten.
Er ist einfach nur ein Marxdorfer Wolfshund.
Ich habe darüber bemerkt das ich auch oft Ablehnung erfahren habe im Leben und so wurde mein Hund dann in die Therapie mit einbezogen. Und von Seiten der Wehrpsychologin auch als mein Therapie Begleithund empfohlen. So das er mein Assistenzhund werden könnte über eine entsprechende Ausbildung. Aber leider ist da keine Unterstützung von Seiten der Bundeswehr zu erwarten. Genauso wenig wie bei Hummel damals. Die Ausbildung und Prüfung habe ich auch selbst finanzieren müssen“.
Konntest du über das belastende Erlebte nach deiner Rückkehr in Deutschland mit jemandem sprechen?
„Nein, wir mussten irgendwie klarkommen. Ich habe mir gefühlt dann eine Box in meinem Kopf eingerichtet, in die all ich das Schlechte hineingelegt habe. So 2014 habe ich dann erste Veränderungen an mir bemerkt. Ich schleppte die Depressionen noch bis 2017. Ich habe mich sogar noch zum Notfallsanitäter weiter qualifiziert, bis es nicht mehr ging. Ich kam 2018 dann das erste Mal in stationäre Behandlung, fand aber keine Worte. Ich wollte diese Box nicht öffnen, wollte dieses Grauen nicht noch einmal aufleben lassen müssen. Ich musste langsam lernen diesen tiefen Schmerz zuzulassen.”


Um viel mehr von Nina Kring zu erfahren,
hört dazu gerne auch das Interview zum Shooting hier auf der Website.

Nina, was geht dir heute zum Thema Bundeswehr durch den Kopf?
Schwierig. Es sollte sich einiges ändern. Wir Einsatzgeschädigten werden nicht wirklich wahrgenommen und auch nicht mehr eingegliedert. Wir könnten weiterhin integriert werden. Der Dienst müsste nur angepasst werden!” Nina muss ihren Beruf wahrscheinlich aufgeben.
Was würdest du dir als Soldat mit seelischer Erkrankung wünschen?
„Dass kein Soldat Existenzängste haben muss! Und dass innerhalb der Bundeswehr die Bearbeitungszeiten kürzer werden. Dass wir mehr unterstützt werden. Denn manchmal fehlt meine Kraft einfach. Eine Plattform zum Austausch für uns Kameraden. Wir haben ja besondere Erfahrungen gemacht. Ich habe meinen persönlichen Frieden gefunden. Mein persönliches Glück war so wichtig für meine Heilung. Auch wenn ich weiterhin krank bin."
Unser Gespräch während des Shootings habe ich aufgenommen und ich veröffentliche es hier. Zuhören ist ein wichtiger Teil meines Fotoprojektes „Gesichter des Lebens“. Ich schenke den Menschen Zeit und meine volle Aufmerksamkeit .

Wir umarmen uns zum Abschied lange.
Für diesen einen Moment ist alles gut.
Nina, eine besondere Frau!
Herzlichen Dank für deine Teilnahme an unserem Projekt "Gesichter des Lebens”!
Ich wünsche Nina ganz viel Liebe und Zuversicht!
Alles Gute und vielen Dank, Nina!
Es schliesst sich für mich ein weiterer Kreis als Mensch und als Fotografin. Beim Fotografieren braucht es Empathie um Menschen zu berühren, zu verbinden, sichtbar zu machen. Mit meinem fotografischen Blick auf die Menschen, Soldaten, Veteranen gehe ich einen weiteren Schritt. Zu wissen das mein / unser Projekt "Gesichter des Lebens" dabei wächst, macht mich stolz, da ich die Menschen liebe und gerne fotografiere.
Soldat und Veteran sein heisst auch: Mensch sein. Sehen-Spüren-Fühlen. "Gesichter des Lebens" versucht dies sichtbar zu machen.
Ich möchte Danke sagen, an meine Herzensmenschen die mich unterstützen und tragen und mir immer wieder Tipps geben zu meinem Fotoprojekt. Danke an meinem geliebten Lebenspartner und an meinem Sohn. Ein dickes Danke nach Kenia an meine liebste Freundin Iris die sich verantwortlich zeichnet für die Texte. Danke an meine liebste Freundin Edda, die mich immer stärkt und mich unterstützt. Danke an Simone und Heike meine Fotografinnen Gang und wunderbare Freundinnen und Frauen.
Es ist schön, wenn Ihr hier mit dabei seit. Danke ❤️.
Fotografiert wird mit Nikon Z7II und dem Nikkor Z 50mm F/1,2S und Nikon Z6II und dem Nikkor Z 85mm f/1.8S.
„Genderhinweis: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf eine geschlechtsneutrale Differenzierung verzichtet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für beide Geschlechter. Die verkürzte Sprachform beinhaltet keine Wertung.“
Hinterlasst mir hier gerne einen Kommentar, ich freue mich darauf. Danke!
Kommentar schreiben
P. Kring (Donnerstag, 11 August 2022 14:08)
Ich bin Ninas Mutter..
Ein sehr schöner..für mich emotionaler Bericht..wunderschöne Bilder.
Da kommen auch für mich sehr viele Erinnerungen hoch..schöne..au ch weniger schöne.
Martina Müller (Donnerstag, 11 August 2022 14:09)
Herzlichen Dank für diesen berührenden, nahen und direkten Beitrag. Es ist so wichtig, dass diese Menschen, die für Deutschland gekämpft haben, auch von ihrem Land anschließend etwas Anerkennung erhalten. Vielen Dank für diese nahen Fotos! Ich hatte Tränen im Gesicht.
Daniela meine Hochachtung vor Ihrer fotografischen Arbeit und diesem Fotoprojekt.
Ich wünsch Nina den anderen Veteranen und Menschen alles Gute!
Herzlichst Martina