Unsere neue Story, unsere nächste Geschichte ist wieder mal etwas anders. Sie ist wenig militärisch und so muss ich Jürgen auch weniger erklären lassen. Alles beginnt auf einer kleinen Farm oder einem kleinen Bauernhof. Es ist das zu Hause unseres nächsten „Gesichter des Lebens“. Beim Eintreffen, ich habe mir drei Tage Zeit für das Shooting genommen, lasse ich meinen Blick schweifen. Ich sehe kleine Stallungen, Weiden und ein Wohnhaus in einer ansonsten abgeschiedenen Umgebung. Es wirkt schlicht und es ist einladend und sauber. Es ist das zu Hause von … „Ja, hallo, mein Name ist Annika Schröder, ich bin 39 Jahre alt, kurz zum beruflichen, ich bin Berufssoldat, ich war 10 Jahre lang in Seedorf als Luftlandesanitäter eingesetzt,“ fängt Anni, so nennen sie eigentlich alle, an.
Mittlerweile höre ich bei meinen Interviews zwischen die Zeilen und hier höre ich eine offene, ehrliche, zufriedene Stimme. Sie passt nicht immer zu dem, was ich die letzten Tage erleben durfte. Für Soldaten ist Seedorf ein Begriff, denn im Jahr 2010 kamen drei Soldaten des Fallschirmjägerbataillons 373 aus Seedorf in ihrem Einsatz in Afghanistan ums Leben, acht weitere wurden teils lebensgefährlich verletzt. In der Bundeswehr wird dabei von den Karfreitagsgefechten gesprochen. Bitte behaltet diese Information immer im Hinterkopf beim Sehen, Lesen und Hören.
„Und meine jetzige und letzte Verwendung ist als Truppenfachlehrer Sanität an der Unteroffiziersschule des Heeres in Delitzsch,“ erzählt sie weiter über sich. Stolz berichtet sie, dass sie privat seit 2017 auf ihrem Selbstversorgerhof mit Tieren und Gemüsebeeten lebt. Jetzt versteht ihr sicherlich, warum ich diese Überschrift gewählt habe, ich hätte auch den offiziellen Titel „Anni‘s klein Farm“ nehmen können, aber ich wollte nichts vorwegnehmen und Anni die Gelegenheit geben sich selbst vorzustellen.
Für Anni war es eine Notwendigkeit, da sie selbst auf der Extremseite des Soldatenberufes eingesetzt war. Abgesetzt mit Fallschirmen, als kleine Kampftruppe mit leichtem Gerät auf sich alleine gestellt. Stets der Gefahr ausgesetzt, beschossen zu werden, ist eine tägliche berufliche Erfahrung im Grenzbereich. Und ihr könnt euch vorstellen, dass es in Afghanistan besonders war. Hier war „vorderste Front“, Umgang mit Tot und Verwundung als Luftlandesanitäter ihr tägliches Brot. Daher hat Anni ein komplettes Gegenstück, wie sie sagt einen Ruhepol für sich gesucht, um damit umgehen zu können.
Dabei ist es ganz einfach mit ihr in Kontakt zu kommen. Mit Begeisterung erzählt sie von ihrem Projekt, von alten Tierrassen und ihrem Leben als Selbstversorgerin. Ihr müsst ihr dabei selbst zuhören, um es zu verstehen.
Dieses Umfeld, der Umgang und das Versorgen der Tiere gibt ihr die nötige Ruhe, einen Sinn in ihrem Leben und den Kontrast zu ihrem Soldatenleben. Dieses Leben möchte sie andere Kameraden auch ermöglichen, sich eine Auszeit zu nehmen und bietet ihnen daher Unterkünfte. Geht einfach auf Facebook und sucht nach Anni‘s Kleine Farm und schreibt ihr eine Nachricht. Aber sie ist natürlich auch auf Instagram zu finden. Hier lautet ihr Account kik_annis_kleine_farm. Ich kann euch nur auffordern, den Mut zu haben und sie zu kontaktieren. In zwei kleinen Gästezimmern könnt ihr unterkommen und dann am Leben und an der Arbeit von Anni teilnehmen. Anni erzählt, ohne dass ich sie dabei störe, von dem Leben auf dem Hof und den Möglichkeiten, die die Umgebung und die Natur bieten.
Ich habe euch ja am Anfang gesagt, dass sie an der Unteroffiziersschule stationiert ist, allerdings ist sie seit 1 1/2 Jahren nicht mehr dort gewesen. Ihr Verhältnis zum Vorgesetzten ist, wie sie sagt, schwierig und auch der Kontakt zu ihren Kameraden ist im Laufe der Zeit abgebrochen. Der einzige Kontakt ist der Sozialdienst der Bundeswehr in Leipzig, der sie stets unterstützt und ihr von militärischer Seite hilft. Für diese Hilfe ist sie sehr dankbar. Von diesem Sozialdienst habt ihr ja schon öfter gehört. Heute möchte ich aber mal die Gelegenheit nutzen euch zu erzählen, was oder wer eigentlich der Sozialdienst der Bundeswehr ist.
Sie sind verteilt über ganz Deutschland zu finden und beraten bzw. betreuen alle aktive und ehemalige Angehörige der Bundeswehr sowie ihrer Familien in sozialen Fragen. So steht es offiziell auf der Internetseite der Bundeswehr. Sie befinden sich in den sogenannten Bundeswehr-Dienstleistungszentren oder den Bundeswehrkrankenhäusern. Ob nun ein Bundeswehrangehöriger Probleme mit Krankheiten, Todesfällen, Versorgung oder mit der Familie hat, hier wird durch geschultes Personal einfach und unkompliziert geholfen, wie im Falle von Anni.
Neben der Erkrankung schwingt Enttäuschung und Niedergeschlagenheit in ihrer Stimme mit, wenn sie von ihrer Dienststelle spricht.
Soldaten, die in Einsätzen gehen, bekommen im Anschluss eine sogenannte Einsatzmedaille, die sie daran erinnern, was sie für unser Land getan haben. Bei Anni sind aber noch zwei besondere Auszeichnungen, auf die sie sehr stolz ist.
Dabei handelt es sich jedoch um Duplikate, denn die Originale sind im Militärhistorischen Museum in Dresden ausgestellt. Ihr merkt schon, es sind schon wirklich besondere Auszeichnungen. Anni erklärt sie uns so: „Es ist einmal die Einsatzmedaille Gefecht, die ich als Teilnehmer des Karfreitagsgefecht, wo ich eingesetzt war als Truppführer eines beweglichen Arzttrupps … mit dem Schwerpunkt der Bergung der Gefallen und Verwundeten bekommen habe.
Des Weiteren habe ich … das Ehrenkreuz der Bundeswehr in Gold mit rotem Rand für herausragende Einzelleistung unter Einsatz von Leib und Leben erhalten.“
Das war jetzt mal schwere Kost und ich versuche es etwas zu erläutern. Das Karfreitagsgefecht war am 02. April 2010 ein Feuergefecht mit der Taliban in der Provinz Kundus. Über mehr als 9 Stunden standen 34 Fallschirmjäger aus Seedorf unter Beschuss. Nur um euch mal eine Zahl zu nennen, 25.000, über 25.000 Schuss haben die Kameraden dabei abgegeben. Dabei fielen Nils Bruns, Robert Hartert und Martin Augustyniak. Und Anni war damals mittendrin. Sie sagte mal in einem Interview:
„ Ich gab alles - außer mein Leben.“ Genau dafür, für dieses alles Geben, wurde ihr mit diesen Auszeichnungen, bei dem Ehrenkreuz handelt es sich um die zweithöchste Auszeichnung der Bundeswehr, gedankt. Sie ist damit die Soldatin mit der höchsten Auszeichnung in der Bundeswehr. Ich brauche euch jetzt nicht zu erwähnen, wie stolz Anni auf diese Auszeichnung ist. Wer mehr wissen möchte, kann ich nur mal empfehlen, nach Annika Schröter oder Karfreitgsgefecht zu googeln.
Für mich hat es viel Kraft gekostet euch davon zu erzählen und Anni ging es bestimmt genauso. Sie selbst sagt aber auch, dass es eine Kehrseite der Medaille gibt. Trotz dieser Auszeichnung hilft ihr das in der jetzigen Situation bei der Bundeswehr und bei Vorgesetzten leider nicht. Irgendwie ist es doch nur ein Stück Metall ohne weiter Wirkung für sie persönlich.
Nach dem Stolz kommt direkt wieder die Niedergeschlagenheit bei ihr zum Vorschein. Jetzt wird es doch noch sehr fachspezifisch. Hört es euch gerne im Interview an. Anni nimmt euch mit in eine für mich unbekannte Welt. Wenn ihr dabei nicht alles versteht, ist es nicht schlimm. Ihr habt zumindest eine Vorstellung was Gefecht und die Vorbereitung dazu für Soldaten bedeutet.
Heute ist Anni vollständig dienstuntauglich und wird aus der Bundeswehr entlassen. Neben der persönlichen Sicherheit geht somit ein hohes Wissen für die Bundeswehr wohl verloren.
Um viel mehr von Anni zu erfahren,
hört dazu gerne auch das Interview zum Shooting hier auf der Website.
Unser Gespräch während des Shootings habe ich aufgenommen und ich veröffentliche es hier.
Zuhören ist ein wichtiger Teil unseres Fotoprojektes „Gesichter des Lebens“.
Anni erzählt dabei auch von ihrem KzH, es bedeutet krank zu Hause und sie muss bzw. darf keinen Dienst mehr ausüben. Was für mich jetzt noch schwer zu verstehen ist, dass sie danach keine Bezüge erhalten wird, obwohl es doch verschieden Gesetze gibt, die für Soldaten mit Einsätzen helfen und schützen sollen.
Anni erklärt mir, dass diese leider bei ihr nicht greifen, da eine sogenannte Wehrdienstbeschädigung, sprich WDB, abgelehnt wurde. Sie will damit sagen, dass ihre Erkrankung laut Bundeswehr wohl nicht mit dem Dienst im Zusammenhang steht. „Das ist für mich finanziell natürlich eine Katastrophe,“ stellt sie nüchtern aber auch aufgewühlt fest.
Auch wenn sie selbst keine Kraft mehr hat, für eine Verbesserung zu kämpfen, nutzt sie ihre Mitgliedschaft beim Deutschen BundeswehrVerband und einem speziellen Rechtsanwalt, ich kann euch sage, dass es Arndt Steinmeier ist, um das Verfahren neu aufrollen zu lassen. Ich wünsche ihr dabei viel Glück, dass sie es schafft.
Ihr wisst, dass ich mich nicht positioniere, sondern euch die Eindrücke wiedergebe. Aber ihr könnt euch vorstellen, dass ich mich sehr freuen würde, wenn Anni ihre kleine Farm weiterhin für sich und für andere Menschen am Leben halten würde.
❤️foto von Anni und ihren besten Freunden (Freundin)
Anni hat aber trotz allem eine Vision, die Idee stammt aus Amerika und ist dort auch erforscht. Einsatzerkrankten Soldaten möchte sie die Möglichkeit geben, mit der Arbeit in der Landwirtschaft ihre Therapie zu unterstützen. Somit wünscht sie sich, dass ihr Beispiel Schule macht und es weitere Rückzugsorte für Einsatzgeschädigte zukünftig geben wird. Ganz nach ihrem Motto „Streiche Krankenhaus, setze Landwirtschaft.“ Wenn ich ehrlich bin, traue ich es Anni zu, ihre Vision mit ihrer kleinen Farm umzusetzen und gemeinsam können wir sie Alle ein klein bisschen unterstützen.
Es war einfach für mich eine Erfahrung und eine weitere Entwicklung von unserem Projekt „Gesichter des Lebens.“
Danke dir liebe Anni, dass du nun mit dabei bist. Herzlich Willkommen an unserem großen Tisch. Ich freue mich, dass du bei uns Platz genommen hast. Ich wünsche Dir alles Liebe.
Es schliesst sich für mich ein weiterer Kreis als Mensch und als Fotografin. Beim Fotografieren braucht es Empathie um Menschen zu berühren, zu verbinden, sichtbar zu machen. Mit meinem fotografischen Blick auf die Menschen, Soldaten, Veteranen und ihren Wegbegleitern gehe ich immer weitere Schritte.
Zu wissen das unser Projekt "Gesichter des Lebens" dabei wächst, macht mich stolz, da ich Menschen liebe und gerne fotografiere. Soldat und Veteran sein heisst auch: Mensch sein. Sehen-Spüren-Fühlen. "Gesichter des Lebens" versucht dies sichtbar zu machen. Auch in unseren BILDBÄNDEN.
Ein dickes Danke an Jürgen der sich verantwortlich zeichnet für den wunderbaren menschlichen Text.
Ich möchte Danke sagen, an meine Herzensmenschen die mich unterstützen und tragen. Danke an meinem geliebten Lebenspartner und an meinem Sohn. Danke an meine liebste Freundin Edda, die mich immer stärkt und mich unterstützt. Es ist schön, wenn Ihr hier mit dabei seit. Danke ❤️.
Fotografiert wird mit Nikon Z7II und dem Nikkor Z 50mm F/1,2S und Nikon Z6II und dem Nikkor Z 85mm f/1.8S.
„Genderhinweis: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf eine geschlechtsneutrale Differenzierung verzichtet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für beide Geschlechter. Die verkürzte Sprachform beinhaltet keine Wertung.“
Hinterlasst mir hier gerne einen Kommentar, ich freue mich darauf. Danke!
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Sandra Sommer (Montag, 22 Juli 2024 19:43)
Ein ganz tolles, ehrliches, starkes Interview!
Ganz großen Respekt Frau Schröder an Sie.
Ich wünsche Ihnen das Ihre Seele auf Ihrer kleinen Farm heilt.
Meine Hochachtung!
Sandra
Sandra (Dienstag, 23 Juli 2024 08:07)
Was für Fotografien, was für eine Nähe und gleichzeitiger Mut in diesen Fotos. Welch ein Text der uns Zivilistinnen die Bundeswehr auf menschlicher Basis erklärt, danke Herr Görlich.
Mein Hochachtung für dich Annika, das Interview höre ich heute morgen.
Danke Annika für deinen Mut und ich winke einer starken Kameradin.
Sandra