„Lächele und sei froh, denn es könnte schlimmer kommen. Ich lächelte und war froh und es kam schlimmer!“ Gibt es Menschen mit Glücks- oder Pechsträhne? Habt ihr schon mal Pferde vor der Apotheke…?
Solche und ähnliche Gedanken gehen mir durch den Kopf, wenn ich Soldatinnen und Soldaten mit Einsatzschädigungen porträtiere. Ich habe den Eindruck, dass es eher schlimmer als besser wird. Immer wieder Rückfälle, neue Trigger und persönliche Schicksalsschläge lassen auch bereits stabile Soldaten mit einem Trauma immer wieder in ein Loch fallen, aus dem sie ggf. auch mit Hilfe herausklettern müssen. Daher ist es so wichtig, dass unsere Gesichter nicht allein sind und wenn es notwendig ist, wir uns gegenseitig helfen. Ich musste es einfach mal loswerden, denn nur wenn wir ehrlich bleiben, kommen wir auch weiter.
Mit diesen Gedanken erreiche ich die Stadt, in der Mosel und Rhein am Deutschen Eck zusammenkommen. Eine Stadt mit Seilbahn, einer Festung Ehrenbreitstein. Aus der Bundeswehrsicht war sie mal die größte Garnisonstadt Deutschlands. Es ist Koblenz, mit seiner tollen Altstadt und dem Schloss am Rhein. Hier treffe ich meinen ersten Shootingpartner 2024, auf den ich mich im Vorfeld sehr gefreut habe. Wir benötigten einige Anläufe, bis es heute endlich geklappt hat.
„Mein Name ist Sascha Uvira, 48 Jahre alt, Vater von drei wunderschönen Töchtern,“ stellt sich mein Gegenüber vor. Sascha ist aktiver Soldat in der Schutzzeit von 8 Jahren und hat somit die Möglichkeit trotz einer Einsatzschädigung gemäß Einsatzweiterverwendungsgesetz seinen Beruf auszuüben. Ich weiß, dass ich den Lesern ohne Kenntnisse von der Bundeswehr einiges zumute, aber für mich ist es schon normal, wenn ich diese Begriffe höre. Dieses Gesetz bildet die Grundlage, um Soldaten mit Einsatzschädigung aufzunehmen und ihnen eine Basis für ihr weiteres Leben zu schaffen.
Sascha war auch im Auslandseinsatz und hat von dort eine seelische Erkrankung mitgebracht. Ihr wisst bereits, dass es sich dabei oftmals um eine PTBS handelt, die bei Sascha seitens der Bundeswehr auch vor 8 Jahren anerkannt worden ist. Ihr merkt, dass Sascha sehr kurz auf meine Fragen reagiert. „Ich gehe damit nicht hausieren,“ erklärt er mir knapp. Nur mit seinen engsten Freunden spricht er über seine Probleme, Ängste und Sorgen.
Sascha war abenteuerlustig, hat als Kind Soldaten beobachtet und die Uniform, die Ausstrahlung der Soldaten und ihre Disziplin hat ihn so beeindruckt, dass er sich sofort als SAZ (Soldat auf Zeit) 04 verpflichtet hat. 1995 ist er in die Bundeswehr eingetreten und 1996 hat er seinen ersten Einsatz in Bosnien absolviert. Als Sascha mir das erzählt, kommen sofort wieder diese Bilder in ihm hoch, mit denen er täglich umgehen muss.
Sascha‘s neue Lebensgefährtin kommt aus der Ukraine. Sie ist nach zwei gescheiterten Ehen, sein neuer Halt, da sie gewisse Dinge besser verstehen kann. „Ich spreche da eigentlich fast nie drüber! Ich habe ja auch ganz bewusst eine zivile Therapie gewählt, wo ich nicht mit anderen Einsatzgeschädigten zusammenkommen!“ Für Sascha war der Veteranenkult kein Thema und dieser Abstand und die Konzentration auf sich selbst hat ihm gutgetan, waren für ihn der richtige Weg.
Sascha mag asiatische Kampfkunst, flog 3-mal im Jahr dafür nach Japan. Irgendwie war sein Wissen über Kampfkunst Segen und Fluch zugleich. Viele Techniken ähneln zwar der Therapie, verzögerten aber auch den Ausbruch seiner Krankheit. Die gezielte Behandlung ist es, die letztendlich geholfen hat und ihm heute noch den Halt gibt.
Sascha hat vor zwei Jahren „SIN.e.V.“ gegründet. Ihr fragt euch jetzt sicher, was das ist. Begonnen hat es vor zwei Jahren, als er nach der Flutkatastrophe ins Ahrtal ging. „Ich war geschockt, was ich dort gesehen habe!“ Für ihn waren es ähnliche Bilder wie im Einsatz. Und für ihn war klar, dass er hier helfen musste und helfen wollte. Sascha fing an, Dinge zu regeln, Hilfe zu organisieren und sich um die Menschen zu kümmern. Von Desinfektionsmittel über Medikamente bis zu Brot und Brötchen sammelte er und brachte es vor Ort. Daraus ist sein Verein SIN - Solidarität in der Not e.V. entstanden. Über einen ehemaligen Kameraden ist er dann in die Ukraine - Hilfe geraten. Der erste Transport, den er zusammenstellte, bestand aus 300 Tonnen medizinischem Material. Diese Hilfe hat ihm persönlich geholfen und ihn stabilisiert. „Ich konnte zeigen, dass ich ein Macher bin,“ sagt Sascha mit einem gewissen Stolz. Heute gibt er noch einmal die Woche Lebensmittel hier an die Flüchtlinge aus und hilft ihnen bei verschiedenen Lebensaufgaben. Wer ihm mit einer Spende helfen möchte, kann sich gerne hier über seinen Verein informieren.
Um viel mehr von Sascha zu erfahren,
hört dazu gerne auch das Interview zum Shooting hier auf der Website.
Unser Gespräch während des Shootings habe ich aufgenommen und ich veröffentliche es hier. Zuhören ist ein wichtiger Teil unseres Fotoprojektes „Gesichter des Lebens“. Bei Sascha seinem Interview finden bestimmt auch Angehörige von seelisch erkrankten Menschen einige Tipps im Umgang, hört Sascha einfach gerne zu.
❤️Fotos von Sascha
Für mich ist zum Abschluss immer wichtig zu fragen, was mein Gegenüber sich wünscht. Natürlich frage ich Sascha auch danach. „Wenn ich einen Wunsch frei hätte, wäre ich ganz uneigennützig und würde mir Frieden wünschen,“ erzählt er mir im Anschluss. Was für ein schöner Wunsch, den ich gerne mittrage. Danke dir Sascha, für das tolle Shooting und Interview und herzlich willkommen am grossen Tisch von „Gesichter des Lebens“. Ich bin so glücklich, das auch Du daran deinen Platz hast.
Es schliesst sich für mich ein weiterer Kreis als Mensch und als Fotografin. Beim Fotografieren braucht es Empathie um Menschen zu berühren, zu verbinden, sichtbar zu machen. Mit meinem fotografischen Blick auf die Menschen, Soldaten, Veteranen und ihren Wegbegleitern gehe ich immer weitere Schritte.
Zu wissen das unser Projekt "Gesichter des Lebens" dabei wächst, macht mich stolz, da ich Menschen liebe und gerne fotografiere. Soldat und Veteran sein heisst auch: Mensch sein. Sehen-Spüren-Fühlen. "Gesichter des Lebens" versucht dies sichtbar zu machen. Auch in unseren BILDBÄNDEN.
Ein dickes Danke an Jürgen der sich verantwortlich zeichnet für den Text.
Ich möchte Danke sagen, an meine Herzensmenschen die mich unterstützen und tragen. Danke an meinem geliebten Lebenspartner und an meinem Sohn. Danke an meine liebste Freundin Edda, die mich immer stärkt und mich unterstützt. Es ist schön, wenn Ihr hier mit dabei seit. Danke ❤️.
Fotografiert wird mit Nikon Z7II und dem Nikkor Z 50mm F/1,2S und Nikon Z6II und dem Nikkor Z 85mm f/1.8S.
„Genderhinweis: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf eine geschlechtsneutrale Differenzierung verzichtet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für beide Geschlechter. Die verkürzte Sprachform beinhaltet keine Wertung.“
Hinterlasst mir hier gerne einen Kommentar, ich freue mich darauf. Danke!
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Robert Linke (Mittwoch, 17 April 2024 19:56)
Tolles Interview und Starke Bilder. Danke das du Sascha das mit uns teilst.
Ich finde es mega das du mit deinem Verein etwas gefunden hast, in dem du Aufgehen kannst und eine wichtige Aufgabe hast! Absolut stark und bewundernswert!