Der dreiundvierzigjährige Hagen V. ist verheiratet, Vater von vier Kindern und wird von allen Vocko genannt.
(Vocko bat mich seinen Nachnamen zum Schutz seiner Familie nicht vollständig zu zeigen, seinem Wunsch entspreche ich natürlich gerne).
Vor unserem heutigen Interview fotografierte ich Vocko bereits beim Rudertraining; hier in der Sportschule Warendorf. Mir fiel besonders seine totale Fokussierung auf die sportliche Aktivität ins Auge. Er nahm mich mit meinen Kameras kaum wahr, so vertiefte er sich mental in seine Tätigkeit. Vocko tritt bei den Invictus Games für Kriegsversehrte in den Disziplinen 100 - Meter - Lauf, 400 - Meter - Lauf, Diskurswurf und Indoor - Rudern an. Privat betreibt er zudem Kraftsport.
Er arbeitet hart an seiner Selbstdisziplin. „Ich sehe den Sport wie einen Auftrag. Ich trete an das Sportgerät heran und habe mein Ziel vor Augen. Ich stelle mir meine Aufgabe und ziehe durch.“ So sitzt er zum Interview vor mir, ein diszipliniert wirkender aufgeschlossener Mann. Wir mögen uns auf Anhieb. „Ich war nicht immer so. Diese Selbstdisziplin hatte ich als Schüler und Jugendlicher noch nicht. Ich kam vor sechsundzwanzig Jahren mit dem Hauptschulabschluss zur Bundeswehr. Erst als Soldat lernte ich, was man mit Leistung erreichen kann. Mittlerweile habe ich studiert, machte den Bachelor in BWL, bin Berufssoldat und Offizier. Das habe ich mir alles selbst erarbeitet!“
In diesem Moment muss ich an meinen eigenen Sohn denken. Auf ihn würde diese Beschreibung auch passen. Er sagte mal zu mir: „Mama, meine Bundeswehrzeit hat mich zu dem gemacht, der ich heute bin.“
Unser Gespräch während des Shootings habe ich aufgenommen und ich veröffentliche es hier. Zuhören ist ein wichtiger Teil meines Fotoprojektes „Gesichter des Lebens“. Ich schenke den Menschen Zeit und meine volle Aufmerksamkeit .
„In der Familienbetreuungsstelle des Hubschraubergeschwaders 64 in Laubheim bin ich verantwortlich für die Familien der Kameraden, die im Auslandseinsatz sind. Ich befinde mich im Moment in Schutzzeit, wegen meiner Einsatzschädigung. Das fühlt sich, an als wäre eine Schutzglocke über mir. Es geht um die gesundheitliche Wiederherstellung.“
Vocko profitiert inzwischen auch von seinen persönlichen Erfahrungen und Erlebnissen. „Ich hätte nie gedacht, dass ich anderen Menschen so helfen kann. Eigentlich wirke ich nach außen arrogant, was aber reiner Selbstschutz ist. Ich möchte eben nicht mit jedem zu tun haben und setze dann diese Maske der Unnahbarkeit auf. Meine Mitmenschen respektieren trotzdem, dass ich insgesamt 1638 Tage im Auslandseinsatz verbracht habe und weiß wovon ich spreche. In den Gesprächen mit den Familien der Soldaten hilft mir auch meine Geradlinigkeit.“ Ich vermute dass ich dieses Gespräch so offen mit Vocko führen kann, weil uns diese gewisse Geradlinigkeit verbindet.
Wie kamst du zur Mannschaft der Invictus Games 2022?
„Durch die Vielzahl meiner Auslandseinsätze hatte ich viel mit Tod und Leid zu tun. Irgendwann sagte meine Frau zu mir: „Du musst zum Truppenarzt gehen und dir helfen lassen. Entweder du gehst oder ich!“ Sie setzte mir quasi die Pistole auf die Brust. Ich entschied mich für den Truppenarzt. Ich wurde in Traumazentren und Rehakliniken behandelt. Einer der Ärzte legte mir die Sporttherapie in Warendorf nahe. Mein wichtigstes Ziel lautete, gemeinsam mit meinen Kindern wieder einmal auf den Weihnachtsmarkt gehen zu können. Dann fragte man mich ob ich an den Invictus Games teilnehmen möchte.“
Hast du deine Sportarten selbst ausgewählt?
„Bei Lehrgängen wurden uns alle Sportarten genau vorgestellt. Zusammen mit dem Trainer habe ich dann meine Wahl getroffen. Beim Diskuswerfen zum Beispiel ist Alexander Ulrich ein Vorbild für mich. Mir macht Mut zu sehen, was er da mit Technik und Disziplin erreicht. Das spornt mich an!“
Was ist das Besondere am Team?
„Jeder respektiert jeden wie er ist. Wir stempeln keinen wegen seiner Macken und Probleme ab. Ich kann immer zeigen, wie ich wirklich bin und muss keine Maske aufsetzen. Ob Brigadegeneral oder Mannschafter, egal. Es entwickeln sich richtige Freundschaften unabhängig vom Dienstgrad. Wir möchten alle wieder gesund durchs Leben gehen. Jeder muss erst mit sich selbst klar kommen. Dann aber trauen wir uns hier in der Mannschaft aus unserem Schneckenhaus heraus. Wir helfen und unterstützen uns gegenseitig. Wenn notwendig wird man auch mal in den Arm genommen."
Warum nimmst du teil bei „Gesichter des Lebens“?
„Kamerad Andreas Rückewoldt kam damit auf mich zu und ich fand die Idee supercool. Deine Vorstellungsnachricht in unseren Gruppenchat bei WhatsApp hat mich endgültig überzeugt. Es ist wichtig Soldaten und die Öffentlichkeit zusammen zu bringen! Darum bin ich hier.“
Vocko’s positive Lebenseinstellung wirkt ansteckend auf sein Umfeld. „Ja, man sagt mir nach, ich sei ein Katalysator. Wenn ich meine Eltern anschaue, ist das auch kein Wunder. Mein Vater ist Musiker und meine Mutter beschäftigt sich viel mit Esoterik, Yoga und Buddhismus, also schon immer ein bisschen anders. Was für mich aber immer richtig war.“
Kennen deine Kinder deine Tätigkeit als Soldat?
„Ja! Meine Kinder wissen, dass ich im Krieg war und auch was ich tue. Wären meine Kinder nicht, könnte ich bestimmt heute nicht so frei mit dir sprechen. Es gab ein Erlebnis, als meine Tochter mit ihren drei Jahren mich mit den Worten tröstete „Papa ich bin da“ und dabei meine Hand hielt. Dieses will ich nie wieder erleben! Ich bin der Papa und muss auf sie aufpassen.“
Was wünschst du dir Vocko?
„Gesund sein!“
Danke lieber Vocko, bleib bitte wie du bist! Alles Liebe dir und deiner Familie!
Alle Teilnehmer ereilte zuvor das gleiche Schicksal. Sie erlitten während ihrer beruflichen Einsätze unterschiedlichste Beeinträchtigungen ihrer Gesundheit: körperliche Verletzungen, Traumata oder psychische Erkrankungen. Sie nahmen zur Wiedererlangung ihrer Zukunftsperspektiven an oftmals langjährigen therapeutischen Maßnahmen teil. Einen ganz besonderen Spirit sowie die Unterstützung des gesamten Teams spüre ich hier bei den vorbereitenden Trainingstagen in der Sportschule Warendorf. Ein besonderer Dank geht dazu auch an das Team der Sporttherapie wie Katja und Naif, dem Trainerteam und an Judith vom Team IG23.
Es schliesst sich für mich ein weiterer Kreis als Mensch und als Fotografin. Beim Fotografieren braucht es Empathie um Menschen zu berühren, zu verbinden, sichtbar zu machen. Mit meinem fotografischen Blick auf die Menschen, Soldaten, Veteranen gehe ich einen weiteren Schritt. Zu wissen das mein / unser Projekt "Gesichter des Lebens" dabei wächst, macht mich stolz, da ich die Menschen liebe und gerne fotografiere. Diese Mannschaft zu fotografieren, dieses Vertrauen zu ihnen wachsen zu lassen und mit meinen Fotos ihnen ein Stückchen Menschlichkeit zu schenken, macht es besonders wertvoll.
Veteran sein heisst auch: Mensch sein. Sehen-Spüren-Fühlen. "Gesichter des Lebens" versucht dies sichtbar zu machen.
Die einzelnen Shootings + Interviews findet Ihr hier als einzelne Beiträge, am besten immer auf dem Laufenden bleiben. Auch hier bei Instagram. Danke ❤️.
Ich möchte Danke sagen, an meine Herzensmenschen die mich unterstützen und tragen und mir immer wieder Tipps geben zu meinem Fotoprojekt. Danke an meinem geliebten Lebenspartner und an meinem Sohn.
Ein dickes Danke nach Kenia an meine liebste Freundin Iris, die sich verantwortlich zeichnet für die Texte. Danke an meine liebste Freundin Edda, die mich immer stärkt und mich unterstützt. Danke an Simone und Heike, meine Fotografinnen Gang und wunderbare Freundinnen und Frauen. Danke ❤️.
Fotografiert wird mit Nikon Z7II und dem Nikkor Z 50mm F/1,2S und Nikon Z6II und dem Nikkor Z 85mm f/1.8S.
„Genderhinweis: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf eine geschlechtsneutrale Differenzierung verzichtet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für beide Geschlechter. Die verkürzte Sprachform beinhaltet keine Wertung.“
Hinterlasst mir hier gerne einen Kommentar, ich freue mich darauf. Danke!
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Frank B. (Samstag, 09 April 2022 16:45)
Was für ein Portrait eines Kameraden, was für Fotos - meine Hochachtung Daniela.
Vocko du kannst so stolz auf Dich, so wie alle anderen Kameraden.
Ich war in Afghanistan und es spricht mir so aus der Seele. Ich bin noch Soldat und habe leider nicht (noch nicht) den Mut bei diesem tollen wichtigen Projekt mit zu machen. Daniela Danke für diese aussergewöhnlichen tiefgründigen Fotos und das du das Projekt ins Leben gerufen hast. Kameraden ich wünsche Euch ganz ganz viel Erfolg in Den Haag und das Ihr alle ein klein bisschen durch dieses Projekt diese Anerkennung erhaltet die Ihr verdient habt.
Bleibt Alle gesund Frank B.
Frank Fuchs (Sonntag, 10 April 2022 17:38)
Danke für diesen Shooting Artikel, der viel mehr ist. Die Fotos haben in mir soviel bewirkt, dann Hagens Interview zuhören und dann zu lesen. Danke für Ihr Projekt Frau Skrzypczak und danke Hagen für Ihren Mut und Stärke öffentlich uns an ihrem Leben und Ihrer Erkrankung teilhaben zu lassen. Für die Invictus Games viel viel Erfolg und ich werde versuchen online mit dabei zu sein.
Grüsse aus Dortmund sendet Ihnen Herr Fuchs
Daniela (Dienstag, 12 April 2022 13:35)
He he ich sage ganz ganz lieb Danke für Eurer hier sein und für die Kommentare.
Danke und eben bemerkt es sind zwei Frank`s ...
Sonnige Grüsse sendet Daniela