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Martin und Sandra

Es war ein besonderes Wochenende. Freitag in Berlin, zuerst einen Termin bei der Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoğuz (SPD). Dort durfte ich unser Projekt „Gesichter des Lebens“ vorstellen. Viel erklärt und ein Augenmerk auf die Soldatinnen und Soldaten gelegt. Ein Satz blieb mir im Gedächtnis. „Politik hat schon viel für die Bundeswehr getan.“ Ja, Frau Özoğuz, sie haben vollkommen recht und trotzdem stoße ich immer wieder auf Menschen, die sich alleingelassen und vergessen fühlen.

Und genau so einen Menschen, so ein Veteran treffe ich zwei Tage später in Ibbenbüren. Nebenbei durfte ich auf der Fahrt mit der Bahn dorthin, 1 1/2 Stunden vor Köln West wegen eines technischen Defekts auf meine Weiterfahrt warten. In Ibbenbüren, eine Stadt oberhalb von Münster, zwischen Rheine und Osnabrück gelegen, fotografiere ich aber nicht nur einen traumatisierten Soldaten, sondern auch seine Frau und seinen Hund.

Martin Thamm beim Fotoshooting "Gesichter des Lebens"
Martin Thamm und Sandra Thamm - Sparwald beim Fotoshooting "Gesichter des Lebens"
Max beim Fotoshooting "Gesichter des Lebens"

PTBS oder ausgeschrieben Posttraumatische Belastungsstörung habe ich mittlerweile schon so oft bei meinen Shootings erlebt. In Wikipedia steht dazu: „Der Posttraumatischen Belastungsstörung gehen definitionsgemäß ein oder mehrere belastende Ereignisse von außergewöhnlichem Umfang oder katastrophalem Ausmaß voran. Dabei muss die Bedrohung nicht unbedingt unmittelbar die eigene Person betreffen, sondern kann auch bei anderen beobachtet und erlebt worden sein.“ Für mich sind es immer wieder persönliche Schicksale, die Menschen und ihr Umfeld Jahre, oft bis zum Lebensende, begleiten. Wenn ihr jetzt weiter schaut, weiterlest oder ins Interview hört, denkt bitte daran, dass es zu Triggern kommen kann, passt also auf euch auf und habt eventuell eine liebe Person dabei, die euch beim Kennenlernen unserer "Gesichter des Lebens" begleitet.

Heute, es ist Samstag, sitze ich nun in Ibbenbüren an einem See und mir gegenüber sitzen Sandra und Martin. Somit haben wir diesmal wieder ein Paar, dass wir am Tisch von „Gesichter des Lebens“ begrüßen dürfen. Hier lest ihr wer Sandra und Martin nun sind.

Sandra und Martin beim Fotoshooting "Gesichter des Lebens"

„Ich bin Sandra, 47 Jahre alt und Mutter einer Patchwork-Familie und Logopädin“, beginnt Sandra mit selbstbewusster Stimme. Mit einem kurzen lauten Lachen ergänzt sie „Und mein Mann ist Einsatzveteran.“ „Ich bin Martin, 52 Jahre alt, Einsatzveteran. Ich war in 6 Auslandseinsätzen, bin an PTBS erkrankt und bin aus der Bundeswehr ausgeschieden, als Berufssoldat gekündigt und kämpfe jetzt mit den täglichen Herausforderungen meiner PTBS.“

Einen möchte ich noch ergänzen, Max einen einjährigen Hütehund, der sich in der Ausbildung zum Assistenz-/Begleithund befindet, haben die beiden mitgebracht.

 Martin Thamm beim Fotoshooting "Gesichter des Lebens"
 Martin Thamm beim Fotoshooting "Gesichter des Lebens"

Zu Beginn unseres Shootings habe ich die Aufregung und Nervosität von Martin gut spüren können. Aufgewühlt, innerlich aufgeregt ist er meinen Anweisungen beim Fotografieren gefolgt. Auch wenn Martin mit der Zeit ruhiger wurde, waren es für ihn dennoch sehr emotionale Momente an diesem See.

 Martin Thamm beim Fotoshooting "Gesichter des Lebens"
Anna Hermann beim Fotoshooting "Gesichter des Lebens"

 

Berufssoldat, warum kündigt man dann und verlässt einen sicheren Arbeitgeber, vor allem, wenn man durch die Einsätze psychisch erkrankt ist. Martin hat sich die Entscheidung 2011 nach 6 Auslandseinsätzen nicht einfach gemacht. Aber er spürte Veränderungen, er hatte sich verändert, sein Verhältnis zur Familie hat sich verändert und in ihm war ständig der Wunsch, eher schon eine Sucht zurück in den Einsatz zu gehen.

Was PTBS war, wusste er zu diesem Zeitpunkt noch nicht. „Im Einsatz habe ich funktioniert,“ sagt Martin. Ein Satz den wir ja schon häufiger gehört haben. Gerade wenn sich Soldaten, durch Einsätze verändern, geben ihnen gerade diese Einsätze halt und klare Strukturen. Dadurch wird es aber nicht besser, sondern eher schlimmer. So ging es Martin auch. „Die Situation wurde immer schlimmer. Die familiäre Situation wurde immer schlimmer,“ stellte er bei sich fest.

Verlassen, mit den Kindern alleine war er schließlich am Ende seiner Kraft. „Man hat mir nicht geholfen,“ stellt er konsterniert fest und meint damit die Institution Bundeswehr. Weder seine Vorgesetzten noch die personalführende Stelle stand ihm zur Seite und er wusste einfach nicht, was ihm fehlt. Was ist PTBS? Wie geht man damit um? Wer hilft in so einer Situation? Fragen, die sich nicht nur Martin stellt bzw. gestellt hat. Wir müssen trotzdem klarstellen, dass schon viel in der Bundeswehr für Einsatzgeschädigte getan wird, aber bei Martin war es definitiv zu wenig.

 

Martin Thamm beim Fotoshooting "Gesichter des Lebens"

Diese Odyssee, dieses falsch Verstanden werden, diese falschen Diagnosen und diese Ablehnung waren der Grund für diese Reaktion. Martin musste raus und er kündigte sein Dienstverhältnis. Nachdem alle Versetzungen, auch die in den Ruhestand abgewiesen wurden, seine Kündigung wurde ohne Nachfragen durch die Bundeswehr angenommen. „Das einzige, was ich bekommen habe, war Mitte März meine Entlassungsurkunde zum 31.03.2013 und dann war ich auf mich allein gestellt,“ ist das Resümee von Martin.

Martin Thamm beim Fotoshooting "Gesichter des Lebens"
Martin Thamm und Sandra Thamm - Sparwald beim Fotoshooting "Gesichter des Lebens"

Beide, Sandra und Martin hoffen, dass ihr mutiges Interview nicht ungehört bleibt.

Aber es gibt auch eine positive Seite im Leben von Martin. Eine davon ist seine Sandra, sein wichtiger Ruhepol und die fünf gemeinsamen Kinder. Und trotzdem ist es für ihn das wichtigste, gut durch den Tag zu kommen. Auch beruflich hat Martin ein „Auffangbecken“ beim Land NRW an der Hochschule der Polizei gefunden. Strukturiert, organisiert und mit Medikamenten schafft er gut seine täglichen, beruflichen Aufgaben. „Es klappt nicht immer aber häufig und ich arbeite dran,“ so klingt einer, der trotz offensichtlicher Fehler bei der Behandlung, nicht aufgibt.

 

„Schon als ich das erste Foto in Einsatzkleidung von Martin gesehen habe, wusste ich, dass er viel zu erzählen hat und viel auf mich zukommt,“ erzählt nun Sandra vom Kennenlernen und sich gemeinsam zu finden. Martin trug noch eine „Maske“ um seine PTBS zu verstecken, aber Sandra hat sein Leiden und seine Fassade schnell durchschaut. „Die Verantwortung habe ich gerne getragen. Hab sie aber nicht bewusst wahrgenommen.“

Sandra Thamm - Sparwald beim Fotoshooting "Gesichter des Lebens"

Und dann kommt eine Liebeserklärung der besonderen Art. „Ich habe Martin kennengelernt und wollte Martin haben, mit oder ohne PTBS. Ich habe einfach den Menschen gesehen,“ sagt Sandra und sieht ihren Martin dabei an. 

Martin und Sandra beim Fotoshooting "Gesichter des Lebens"

Woher nehmen die beiden den Mut ihr Leben gemeinsam zu gehen. Die Antwort ist ganz einfach und kommt fast gleichzeitig von beiden. „Weil wir uns lieben!“ Und wenn schon Sch… dann Sch… mit Schwung, als Sandra wegen drei Hirnaneurysma operiert werden musste, ist Martin es gewesen, der über seinen Schatten springen musste um ihr beizustehen und die Kinder versorgen. Sie standen und stehen zusammen, Schulter an Schulter.

Martin und Sandra beim Fotoshooting "Gesichter des Lebens" in Bad Münstereifel
Martin Thamm beim Fotoshooting "Gesichter des Lebens" in Bad Münstereifel

Meine ❤️Bilder von Max ... Max ist ein Jahr alt und wird von Martin zum Assistenzhund ausgebildet. 

Mit Ihm kommt er besser durch den Tag und er gibt ihm Sicherheit. 

Wisst ihr was ein Alarmstuhl ist? Martin hat es während der Bundeswehr kennengelernt und macht dieses Ritual bis heute, da er es für sinnvoll hält. Alarmstuhl ist ein Stuhl auf dem die Kleidung, die man morgens anzieht, abends in der richtigen Reihenfolge über den Stuhl hängt. Ich habe gerade wieder was dazugelernt. Aber auch seinen Rucksack mit den Medikamenten, wird jeden Abend geprüft, um im Notfall keine Überraschungen zu erleben. „Ich gehe nie unvorbereitet aus dem Haus,“ sagt er. Struktur gibt ihm Halt, hält er sich nicht daran, wirft es ihn einfach aus der Bahn.

Martin Thamm beim "Gesichter des Lebens" Shooting
Martin Thamm beim "Gesichter des Lebens" Shooting

Aus der gesamten Situation heraus, hat Sandra 2022 eine Plattform geschaffen, die sich „Ehefrau eines Einsatzveteranen“ nennt und im Internet und in den sozialen Medien zu finden ist.

 

Warum gibt es diese Plattform? „Weil ich helfen will … damit andere Frauen auch damit umgehen können,“. Dies treibt Sandra bei Ihrer Arbeit an und Martin ist so stolz auf seine Frau, dass sie so hilft. Und die Ausmaße, die das angenommen hat, hat beide überrascht und das Projekt wurde größer und größer. Ihr, die dieses Interview lest, schaut es euch einfach mal an, ihr werdet überrascht sein und vieles, neues erfahren. „Rettest du ein Leben, rettest du die Menschheit!“ (Spruch aus einem der bedeutendsten Schriftwerke des Judentums, dem Talmud). Und Sandra hat schon den ein oder anderen durch ihre Hilfe gerettet.

Sandra Thamm - Sparwald  beim Fotoshooting "Gesichter des Lebens" in Bad Münstereifel
Martin Thamm beim Fotoshooting "Gesichter des Lebens" in Bad Münstereifel
Martin und Sandra beim Fotoshooting "Gesichter des Lebens"

 Um viel mehr von Martin und Sandra zu erfahren,

hört dazu gerne auch das Interview zum Shooting hier auf der Website.

Unser Gespräch während des Shootings habe ich aufgenommen und ich veröffentliche es hier. Zuhören ist ein wichtiger Teil meines Fotoprojektes „Gesichter des Lebens“. Ich schenke den Menschen Zeit und meine volle Aufmerksamkeit . 

Fotografiert Nikon Z7II und Nikkor Z 50mm F/1: 1,2 S, Anna Hermann beim Fotoshooting "Gesichter des Lebens"

Danke Sandra, danke Martin, danke Max.

Alles Liebe und Gute weiterhin für Euch und eure Familie liebe Sandra und lieber Martin ❤️! 

Herzlich Willkommen am großen Tisch von „Gesichter des Lebens“.


Es schliesst sich für mich ein weiterer Kreis als Mensch und als Fotografin. Beim Fotografieren braucht es Empathie um Menschen zu berühren, zu verbinden, sichtbar zu machen. Mit meinem fotografischen Blick auf die Menschen, Soldaten, Veteranen und ihren Wegbegleitern gehe ich einen weiteren Schritt. Zu wissen das unser Projekt "Gesichter des Lebens" dabei wächst, macht mich stolz, da ich die Menschen liebe und gerne fotografiere.

 

Soldat und Veteran sein heisst auch: Mensch sein. Sehen-Spüren-Fühlen. "Gesichter des Lebens" versucht dies sichtbar zu machen. Auch hier in unserem neuen BILDBAND

 

Ich möchte Danke sagen, an meine Herzensmenschen die mich unterstützen und tragen und mir immer wieder Tipps geben zu meinem Fotoprojekt. Danke an meinem geliebten Lebenspartner und an meinem Sohn. Danke an meine liebste Freundin Edda, die mich immer stärkt und mich unterstützt. Ein dickes Danke an Jürgen der sich verantwortlich zeichnet für den Text. Es ist schön, wenn Ihr hier mit dabei seit. Danke ❤️. 

 

Fotografiert wird mit Nikon Z7II und dem Nikkor Z 50mm F/1,2S und Nikon Z6II und dem Nikkor Z 85mm f/1.8S.

„Genderhinweis: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf eine geschlechtsneutrale Differenzierung verzichtet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für beide Geschlechter. Die verkürzte Sprachform beinhaltet keine Wertung.“

Hinterlasst mir hier gerne einen Kommentar, ich freue mich darauf. Danke!

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Kommentare: 4
  • #1

    Martin Thamm-Sparwald (Freitag, 05 Mai 2023 13:22)

    Liebe Dani,
    Vielen Dank für das tolle Shooting, für Deine wundervolle Arbeit und dafür das Du sehr vorsichtig mit mir umgegangen bist beim Shooting. Du bist eine wichtige Stimme für uns einsatzgeschädigte Veteranen. Danke!

  • #2

    M. Schröder (Freitag, 05 Mai 2023 14:49)

    Danke für diesen bewegenden Bericht, die Fotos die so nah gehen und das Interview. Es mahnt, bewegt und sollte einige Menschen rütteln das sich was ändern sollte. Ich wünsche den Kameraden Thamm und seiner Familie eine gute Gesundheit und sage Danke für dieses Fotoportrait und das Interview. Meine Hochachtung auch an Sie Sandra und ich hoffe das unser Arbeitgeber hier mitliest, schaut und hört. Daniela Ihnen gilt meine Hochachtung vor Ihrer Arbeit als Fotografin, ich habe noch nie so intensive Fotografie gesehen. Hochachtung vor dem Öffentlichmachen aller Kameraden hier bei diesem Projekt, es muss sehr viel Vertrauen da sein bei den Shootings und Gesprächen. Danke an Jürgen Görlich für den einfühlsamen Text, der wie Eins wirkt mit der Fotografie.
    Herzlichst mit tiefen Dank M. Schröder

  • #3

    Jürgen Görlich (Freitag, 05 Mai 2023 16:51)

    Danke für dein Lob M. Schröder, es ist einfach bewegend und emotional die Geschichten unserer Kameradinnen und Kameraden zu Papier zu bringen. Und es freut mich, wenn es anderen dann gefällt.

  • #4

    Daniela Skrzypczak (Freitag, 05 Mai 2023 19:17)

    Lieber Martin der Dank geht an Euch für Eurer tiefes Vertrauen. Herr S" chröder es ist ein dankbares Gefühl zu wissen Sie als Soldat lesen und schauen mit und hinterlassen hier Ihre Meinung zu unserem "Gesichter des Lebens" und viel wichtiger das Martin & Sandra lesen können das auch Kameraden hier "unterwegs" sind. Danke Jürgen für deine einfühlsamen Texte.
    Daniela